Ausstellung larom

Es zeigt sich auch durchs Fotobuch …

Mit Zitaten

19. Mai - 03. Juli 2021 (bis Ende Juli verlängert)

Stadtbibliothek Hannover

Hildesheimer Str. 12

30169 Hannover

 

Studio Artistico

 

in Kooperation mit der Stadtbibliothek Hannover

gefördert durch das Kulturbüro der LHH in Treffpunkt 2020


Peter Nickl: Zur Ausstellung „Es zeigt sich auch durchs Fotobuch ...“ von larom

 Gibt es eigentlich genug Schönheit auf der Welt? Wer ist dafür zuständig? Wo könnten wir Schönheit nachbestellen, wenn sich zeigt, dass Angebot und Nachfrage nicht übereinstimmen? Oder wenn Schönheit auf einmal so teuer würde, dass wir sie uns nicht mehr leisten könnten? Diese Fragen sind natürlich absichtlich falsch gestellt. Denn nichts ist so verbreitet und billig wie Schönheit. Sie kostet buchstäblich nichts. – Also müsste sie doch für alle reichen? Ein Gut wie (noch!) Luft und Wasser, das allen kostenlos zur Verfügung steht? Wann hatten Sie zum letzten Mal ein Erlebnis von Schönheit? Oder ist sie uns so wenig wert, dass wir uns keine Zeit dafür nehmen?

Schönheit ist fast überall da – aber übersehbar. Was Paul Celan über die Poesie sagte, gilt auch für sie: elle ne s’impose plus, elle s’expose – sie drängt sich nicht auf, sie exponiert sich, d.h. sie offenbart sich im Modus der Fragilität, der Verletzlichkeit. Ihr stummer Ruf ist „ich bin übersehbar – aber ihr könnt mich trotzdem entdecken; ich bin vielleicht schon tot – aber ich künde noch vom Leben; ihr könnt mich ignorieren und zertreten – aber wenn ihr es sein lasst, werdet ihr reicher.“

Die Schönheit der Natur, von der schon Leibniz in bewegenden Worten gesprochen hat, kennt nicht nur die Star-Auftritte des Sonnenuntergangs oder des vollen Mondes, sie liegt genauso in dem Kleinen und Unscheinbaren, das sich erst auf den zweiten (oder dritten) Blick offenbart.

In seinem Fotobuch hat der Hannoveraner Künstler larom eine Sammlung von Portraits vorgelegt, die selbst uns Nicht-Künstler*innen die Schönheit der Natur auch dort offenbart, wo wir sie vielleicht mit unseren eigenen Augen – unserem rastlosen, oberflächlichen Alltagsblick – nicht wahrgenommen hätten. Portraits? Ja. Portraits von ganz individuellen florealen Persönlichkeiten, ins Bild gesetzt durch einen kleinen Trick, nämlich die Auswechslung des Hintergrundes. Die Porträtierten posieren vor einem schwarzen Tuch und zeigen so ihr ganz persönliches Leben und ihre Geschichte: aus einem offensichtlich toten Ast steigt ein dünner Zweig mit grünen Knospen. Sicher wäre dieser Strauch bei jeder DIN-Kontrolle durchgefallen. Aber als Individuum betrachtet, bewundern wir seine Resilienz. Er hätte allen Grund gehabt, aufzugeben. Er streckt trotzdem die verbleibende Kraft in diesen einen Trieb – und schafft es womöglich bis zur Blüte.

Andere erzählen von ihrer Vergangenheit: die verblühte Rhododendron-Dolde ist schon mehr braun als violett, die Blütenblätter verdorrt, die grünen Stiele treten hervor, und zugleich bemerken wir eine Metamorphose. 

 

Die abgestorbene Blüte wirkt wie eine Gestalt aus dem Tierreich, spinnenartig – und in der Tat, zwei Spinnen haben sich bereits in ihr niedergelassen und so perfekt in das Gesamtbild eingefügt, dass man sie ihrerseits für Pflanzen halten könnte.

Wo immer diese Bilder vom Tod erzählen, ist stets auch das Leben präsent. Ein völlig kahler Ast hat nichts für sich zurückbehalten, kein einziges Blatt. Aber die prallen Beeren sind da, als Botschafterinnen des Lebens.

Stufen des Verwelkens: mehrere Blüten einer gefüllten Rose zeigen Grade des Vergehens. Sie gehören zusammen, im Verlieren ihrer ursprünglichen Form ist jede anders, noch die Vergänglichkeit, oder gerade sie, trägt das Gepräge der Individualität.

 

Im Fotobuch zeigt sich eine Ästhetik der Übergänge: zwischen Leben und Tod, zwischen Pflanze und Tier (die tote Taube wie ein Blumenstrauß), Stein und Pflanze (der verschimmelte Kohlrabi), Mikrokosmos und Makrokosmos. Die blau verfremdete Süntelbuche erinnert an die Verästelung von Herzkranzgefäßen. 

Menschen scheinen in diese Bilder nicht zu passen, aber es gibt sie doch.

Larom nimmt sie aber nicht unmittelbar auf, sondern durch die Spiegelung im Wasser. In diesem Medium scheinen sie sich besser in die Natur einzufügen.

Eigentlich sprechen die Fotos für sich, und wer sich Zeit zum Betrachten nimmt, wird von selber nachdenklich werden. Trotzdem sind der Ausstellung auch philosophische Überlegungen und literarische Texte beigegeben.

 

Die Welt, so kann man salopp sagen, ist der Ich-Philosophie der Neuzeit („Ich denke, also bin ich“) sekundär geworden, ja beinahe abhanden gekommen. Larom erinnert mit dem großen Platon-Ausleger Georg Picht an eine Epoche, in der das Staunen vor der Schönheit des Kosmos noch das Lebensgefühl prägte.

Dieses Staunenkönnen ist das Gegenprinzip zur Machbarkeit, zur alles beherrschenden und objektivierenden Technik. Eine zur Verfügung gestellte Welt ist keine mehr. Auch die Fotos von larom verfügen nicht über ihre Motive, sie zeigen dem, der zu sehen versteht, die Schönheit und Würde der unscheinbarsten Naturdinge. Keine Fabrik könnte sie herstellen. Ihr Wert ist ökonomisch null, ästhetisch unendlich.